Aus dem WWW Einreisehürden: Wie die USA ihre Einwanderer vergraulen

Tom

Florida-Beginner
Einreisehürden: Wie die USA ihre Einwanderer vergraulen

Einst lockten die USA Menschen aus aller Welt. Heute droht dem Land ein Engpass an talentierten Immigranten. Übertriebene Sicherheitsvorkehrungen und überlastete Behörden gefährden Amerikas Wettbewerbsfähigkeit. Von David Böcking, Minneapolis


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Die Freiheitsstatue in New York: Zu scharfe US-Einwanderungsregeln schrecken gut ausgebildete Einwanderer ab© Jeff Zelevansky/DPA

Krishna will nicht länger warten. Vor zwei Jahren hat sich der indische Programmierer bei der US-Einwanderungsbehörde um eine Greencard beworben, die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für die USA. Doch die Bearbeitung zögert sich immer weiter hinaus.
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Der 34-Jährige gehört eigentlich zu jenen, die man in den Vereinigten Staaten gern aufnimmt: zweifacher Vater, Eigenheimbesitzer, perfektes Englisch. Sein Arbeitgeber, ein Software-Beratungsunternehmen in Minneapolis, würde den Spezialisten auch gern behalten. Nur: Die Zahl der Greencards, die zur Vergabe stehen, ist begrenzt. Es könnte bis zu acht Jahre dauern, bis Krishna an der Reihe ist.

So lange reicht Krishnas Geduld nicht. Zwar kann er sein Visum immer wieder verlängern, darf Arbeitsplatz und Aufenthaltsort jedoch nicht frei wählen. Spätestens 2011 wolle er eine klare Perspektive haben, sagt der Mann im schwarzen Anzug. "Ich muss hier nicht warten", sagt er. "Ich könnte auch zurück nach Hause gehen und dort glücklich leben."

Wohlstand und Sicherheit sind in Gefahr

Die USA drohen einen unschätzbaren Wettbewerbsvorteil zu verspielen: den steten Zustrom an hoch qualifizierten Einwanderern. Laut Ökonomen geht rund ein halbes Prozent des jährlichen US-Wachstums auf neu zugewanderte Arbeitskräfte zurück. Besonders wichtig sind sie für die Wissenschaft: Immigranten machen mehr als die Hälfte des Forschungspersonals aus und melden fast ein Viertel der Patente an.
Doch die Zahl der neuen Greencards stagniert seit Jahren. Wissenschaftler schlagen bereits Alarm: Falls die USA nicht umsteuerten, warnt eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe des Council on Foreign Relations, würden sie "eine der entscheidenden Grundlagen von Amerikas Wohlstand und Sicherheit beschädigen und könnten das Land international zu einem langen, langsamen Abstieg verdammen."
US-Präsident Barack Obama hat im Wahlkampf eine umfassende Einwanderungsreform versprochen. Doch erst im Dezember brachte der Demokrat Luis Gutierrez einen Entwurf zur Änderung der US-Einwanderungsgesetze im Kongress ein. Bald will sein Parteifreund Charles Schumer nachlegen, der im Senat das Subkomitee für Immigration leitet. Schumer fordert, das reformierte System müsse "den nächsten Albert Einstein davon überzeugen, dauerhaft in die USA überzusiedeln".

Auch hinter Yahoo oder Google steckten Einwanderer

Beim Halbleiterhersteller Texas Instruments (TI) sehnt man eine Reform herbei. "Wir müssen Ausländer einstellen. Viele Leute verstehen das nicht", sagt Paula Collins, die in Washington den Kontakt zur Regierung hält. Auch Konkurrent Intel ist auf Immigranten angewiesen, besonders auf Programmierer und Bauteile-Entwickler. "Leider finden wir nicht genügend Leute in den USA", sagt Lobbyist Peter Muller. "Dabei geben wir uns wirklich Mühe."
Die IT-Branche ist ein Paradebeispiel für die wirtschaftliche Bedeutung der Immigranten. Hinter der Entstehung von Intel, Yahoo, Google oder Ebay steckten Einwanderer aus Ungarn, Taiwan, Russland und Frankreich. Sie alle verwirklichten in Kalifornien ihren Unternehmertraum. Die Branche ist auf intellektuellen Nachschub aus dem Ausland angewiesen. Ähnlich wie in Deutschland mangelt es auch in den USA in technischen Fächern an Nachwuchs.
"Wir stellen das ein, was US-Hochschulen produzieren", sagt TI-Lobbyistin Collins. Und das sind selten Amerikaner: Drei von vier Ingenieurs-Doktortiteln an texanischen Unis werden an Ausländer vergeben. Wenn Texas Instruments diese Hochqualifizierten einstellen will, wird es kompliziert. Weil die Bewilligung der Greencard so lange dauert, wird zunächst meist ein sogenanntes H1B-Visum für qualifizierte Arbeitskräfte beantragt. Das gilt für drei Jahre und kann einmal verlängert werden.

"Wir haben deswegen schon Leute verloren"

Doch das H1B-Visum wird jährlich nur 65.000-mal ausgegeben - in manchen Jahren ist es innerhalb eines einzigen Tages vergriffen. Hinzu kommt, dass H1B-Arbeiter während des Wartens auf ihre Greencard nicht befördert werden und auch den Arbeitsort nicht wechseln dürfen. "Für die Angestellten ist das sehr frustrierend", sagt Collins. "Wir haben deswegen schon einige Leute verloren."
Nach den Wünschen der Wirtschaft soll die Vergabe von Visa künftig an den Bedarf an Arbeitskräften angepasst werden. Auch bei den Greencards wollen Unternehmen neue Regeln: Derzeit dient der größte Teil dem Nachzug von Familienmitgliedern. Für Hochqualifizierte müsse es künftig eine eigene Kategorie geben, fordert Intel-Vertreter Muller. "Oder sie sollten sie automatisch zusammen mit ihrem Uni-Abschluss bekommen."
Als veraltet gilt vor allem die Regel, dass jedes Land maximal sieben Prozent der Greencards erhält. Für die Milliardenvölker in Indien und China sind genauso viele Visa vorgesehen wie für die Bewohner Liechtensteins oder Tuvalus. Dabei sind es gerade indische und chinesische Immigranten, die bei US-Hightechunternehmen die Entwicklung vorantreiben. Bei Intel etwa sind sie allein für rund 40 Prozent aller Patente verantwortlich.

Herzspezialist musste neun Monate warten

Noch eine Entwicklung behindert den Nachschub an Einwanderern: Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden die Sicherheitsvorkehrungen bei der Einreise verschärft. Zwischenzeitlich fiel die Zahl der Visa um ein Drittel. Was schon Besucher viele Nerven kostet, wird für potenzielle Einwanderer zum kaum zu überwindenden Hindernis. Das gewachsene Misstrauen gegenüber Fremden gefährde "den größten Wettbewerbsvorteil, den die USA bislang hatten", warnt Edward Alden vom Council on Foreign Relations.
In seinem Buch "Die Schließung der amerikanischen Grenze" hat Alden abschreckende Beispiele gesammelt. Unter anderem beschreibt er den Fall Faiz Bhoras, eines in den USA ausgebildeten pakistanischen Herzspezialisten. Bevor er an der prestigeträchtigen University of California Los Angeles (UCLA) angestellt werden konnte, musste Bhora in seine Heimat zurück, um dort ein neues Visum zu beantragen. Weil aber für alle jungen Männer aus muslimischen Ländern seit 2002 verschärfte Einreiseregeln gelten, versandete Bhoras Antrag bei den völlig überlasteten Sicherheitsbehörden. Erst nach neun Monaten erhielt er sein Visum.
Dass solche Possen anderen Ländern nützen, sieht der gebürtige Kanadier Alden an seiner alten Heimat: Seit 2009 bietet die kanadische Provinz Alberta frustrierten H1B-Inhabern in den USA eine attraktive Alternative: Innerhalb eines Jahres können sie eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für Kanada bekommen. Microsoft errichtete eine ursprünglich im US-Bundesstaat Washington geplante Forschungsstätte jenseits der Grenze in Vancouver. Zu Hause habe es nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte gegeben, hieß es zur Begründung.

"Nicht mehr das Amerika, in das eure Großeltern eingewandert sind"

Ginge es nur um hoch qualifizierte Einwanderer, hätte die US-Politik wohl längst reagiert. Doch die Reform betrifft auch jene, die für wenige Dollar in Restaurants, auf Baustellen oder in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Traditionell füllen sie Lücken, die Amerikaner durch ihren sozialen Aufstieg hinterlassen. Doch angesichts zweistelliger Arbeitslosenzahlen gewinnen Stimmen an Gewicht, die das Selbstverständnis als Einwanderungsland infrage stellen. Konservative Thinktanks argumentieren, Masseneinwanderung widerspreche mittlerweile den Bedürfnissen der USA. "Das ist nicht mehr das Amerika, in das eure Großeltern eingewandert sind", sagt der Chef des Center for Immigration Studies, Mark Krikorian.
Auch die Einwanderungsströme haben sich verändert: Während vor 100 Jahren die meisten Einwanderer aus Nordwest-, Zentral- und Südeuropa stammen, wollen heute vor allem Asiaten und Lateinamerikaner in die USA. Die Latinos machen den größten Teil der illegalen Einwanderer aus, knapp elf Millionen Menschen sind ohne Papiere im Land. Es ist vor allem die Frage, was mit diesen "Undocumenteds" geschehen soll, die bislang alle Reformversuche scheitern ließ. Gesundheitsreform und Klimapolitik haben das Thema nach hinten verdrängt.

Visum erst nach College oder Millitärdienst

Befürworter einer Legalisierung argumentieren, mit den Einwanderern decke die US-Wirtschaft einen Bedarf, der auf legalem Weg nicht zu erfüllen sei. Nach ihrer Vorstellung sollen Illegale, die keine Vorstrafen haben, eine Geldbuße bezahlen, sich zum Englischlernen verpflichten - und erst danach eingebürgert werden.
Als mögliches Vorbild einer solchen "verdienten Legalisierung" gilt der "Dream Act" - ein Gesetzentwurf, der sich an die Kinder illegaler Einwanderer richtet. Diese könnten sich ihre Aufenthaltserlaubnis entweder durch zwei Jahre auf einem College oder aber beim US-Militär verdienen. Denn nicht nur die US-Wirtschaft braucht dringend Nachschub. Auch die Streitkräfte, die durch die Kriege im Irak und in Afghanistan stark beansprucht sind, haben akuten Nachwuchsbedarf.

Quelle:
http://www.stern.de/politik/ausland...-usa-ihre-einwanderer-vergraulen-1547758.html
 
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