St. Augustine

Ali G.

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Spuk im Nobelhotel

Von Ole Helmhausen
Verwunschene Hinterhöfe statt Mega-Malls: St. Augustine hat Charakter. Die älteste Stadt der USA ist ein Kleinod im trubeligen Florida - und erschreckt Besucher mit gruseligen Geistern in Spukhotels und -Bars.

Selbst am verschwiegensten Ort, den ein Hotel zu bieten hat, mag das Zimmermädchen im Casa Monica Hotel nicht reden. "Wir dürfen nichts sagen", sagt sie. Dabei zieht sie den Wäschewagen in den Aufzug und drückt den Aufwärtsknopf. "Anweisung der Direktion." Und während die Kabine Fahrt aufnimmt, schaut sie demonstrativ dem Zeiger über der Tür beim Zählen der Stockwerke zu.

Deutlicher geht's nicht: No more questions, please. Dem Fragesteller wird jetzt doch etwas mulmig. Den ganzen Abend über hat er das Geplapper über die Geister der Stadt belächelt und die kreuz und quer durch die Altstadt stromernden "Ghost Tours" zu Friedhöfen und Spukhäusern als Touristennepp abgetan. Das hier allerdings wirkt echt. Warum schweigt die "maid" sich aus?
Hier, unbelauscht und ungesehen, könnte sie doch erzählen, was ohnehin schon jeder weiß. Nämlich dass merkwürdige Dinge in diesem alten Nobelhotel an der Cordova Street passieren. Wie leise Stimmen, die versuchen, Worte zu formen, Möbelstücke, die am nächsten Morgen nicht mehr an ihrem Platz stehen, und Duschen, die plötzlich siedend heiß werden. Will die Hotelleitung die Nerven der Gäste schonen? Fürchtet man, dass der Spuk schlecht für's Geschäft ist?

Eines ist erreicht: Der Fragesteller schläft schlecht in dieser Nacht. Um 1.30 Uhr morgens - am nächsten Tag schwört er darauf Stein und Bein - hört er Schritte in seinem Zimmer. Sonderbar, bei zwei Zentimeter dickem Teppich. Und kurz vor Morgengrauen wacht er ein letztes Mal auf, jämmerlich frierend. Jemand - er bestimmt nicht - hat die Klimaanlage auf 12 Grad Celsius gestellt.

Älteste Stadt der USA

Jay Humphries weiß, was alt ist. "Als die Engländer 1607 Jamestown gründeten, gingen wir gerade durch die erste Renovierungsphase!" Nur ein winziger Geburtsfehler habe den Einzug seiner Stadt in die amerikanischen Geschichtsbücher verhindert. "St. Augustine wurde leider von Spaniern gegründet", sagt der Angestellte des hiesigen Fremdenverkehrsamtes, "und die waren damals die Erzfeinde der Engländer und Amerikaner."
Dass Amerika sein Geschichtsbild inzwischen revidiert hat - Jamestown ist nur noch die älteste englischsprachige Stadt des Landes - ist für den PR-Mann, dessen Job es ist, möglichst viele Touristen herbeizulocken, allerdings nicht so wichtig. "Wir wollen mehr Touristen, aber keinen Micky-Maus-Tourismus."

Und die kriegen hier etwas ganz Besonderes geboten. St. Augustine, obschon 1565 gegründet und somit eine Keimzelle Floridas, ist am Ende doch so untypisch für Florida wie Hamburger für Paris. Keine Interstates würgen die Stadt, keine Hotelkästen, Kondominumtürme und gigantischen Werbeflächen für Vergnügungsparks verunstalten ihr kolonialspanisches Ambiente. Statt Werbeflächen und Mega Malls hat diese Stadt Charakter: In krumme, spanische Namen tragenden Straßen und Gassen stehen noch immer die alten "casas", die trutzigen Häuser mit ihren gusseisernen Toren, durch die man in schattige Innenhöfe tritt.

Bewahrer des alten Stadtbilds
Kleine Parks und weitläufige Plazas mit Palmetto und moosbehängten Banyan-Bäumen erinnern an den Alten Süden, und abends flanieren die Einheimischen - im atemlosen, autoabhängigen Rest Floridas ist das ein Unding - fein herausgeputzt und mit Kind und Kegel über die St. George Street, die alte Avenida Menendez. Zwar ist der Tourismus inzwischen die wichtigste Einnahmequelle, doch während PR-Spezialisten wie Jay mit Pressemitteilungen die Welt anlocken, arbeiten Historiker, Archäologen und ein Heer freiwilliger Helfer an der Bewahrung des historischen Stadtbilds.

Ihre letzten Erfolge: die Eröffnung eines Vier-Sterne-Hilton, hier jedoch kein eckiger Riesenkasten, sondern ein aus 19 auf alt getrimmten Häusern bestehender Komplex, der sich nahtlos in die Alte-West-Kulisse fügt. Und der Sieg der Bürgerinitiativen über jene Städteplaner, die die 80 Jahre alte Bridge of Lions über die Matanzas Bay abreißen und durch eine breitere ersetzen wollten. Stattdessen wird die Löwenbrücke, mit ihren Löwenstatuen, Bögen und Türmchen das Wahrzeichen der Stadt, nun mit Millionenaufwand restauriert.
Wie heißt es so schön? Man sieht nur, was man weiß. Und die über 400-jährige Geschichte der Stadt ist, mit ihren Massakern, Epidemien, Belagerungen und Piratenüberfällen, gelinde gesagt, turbulent. Doch dass der Bummel durch dieses älteste Stückchen Florida in ein trockenes Geschichtsseminar abgleitet, ist nicht zu befürchten. Nach den Pflichtbesuchen, darunter im wuchtigen Castillo de San Marcos von 1695, im Old St. Augustine Village, im Oldest House und im Lightner Museum, bleiben doch vor allem die Menschen und ihre Geschichten im Gedächtnis haften.

Wie die von dem spanischen Konquistador Ponce de Léon, der 1513 hier den sagenumwobenen Jungbrunnen gefunden zu haben glaubte, und von der schlauen, vom Klondike kommenden Goldgräberin Diamond Lil, die die Quelle auf ihrem Land nördlich vom Castillo de San Marcos zu Ponce's Jungbrunnen erklärte und 10 Cents pro Becher verlangte. Oder die von dem Musiker und "Vom Winde verweht"-Fan, der über der Bar des Scarlett-O'Hara's-Restaurant in der Badewanne ertrank und die Gäste der Ghost Bar zu vorgerückter Stunde mit dem Plätschern von Badewasser unterhält.


Quelle:
Spiegel online
http://www.spiegel.de/reise/fernweh/0,1518,488767,00.html
 
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